2007/09/09

Die Geschichte von der ersten PeqKonferenz

Vor zwei Tagen hatte ich zum ersten mal das Vergnügen bei einer Konferenz von statistischen Physikern als Gastredner eingeladen zu sein. Tatsächlich war nicht ich persönlich eingeladen, ich sollte vielmehr meinen Chef dort vertreten, der mich mit den folgenden Worten hinschickte: "Deine Karriere wird ganz wesentlich davon abhängen mit wem du rund um die Welt vernetzt bist. Also nutze die Gelegenheit und rede mit den Leuten!". Gesagt, versucht zu tun.

Die Konferenz fand an einem Nachmittag in Brüssel statt. Das heißt Aufstehen um halb fünf, ab auf den Flughafen. Ankunft in Brüssel um neun, Ankunft im Hotel um elf. Nach dem Mittagessen ab auf die Universität. Das erste Problem stellte die kürzlich erfolgte Fahrplanumstellung der öffentlichen Verkehrsmittel in Brüssel dar. Dies machte sämtliche von mir im voraus rausgesuchten Routen obsolet. Ich war am verkehrten Ende von Brüssel gestrandet, bis ich endlich jemanden fand, der nicht nur aus Brüssel kam sondern sich auch mit den Öffentlichen auskannte. Das half mir den Campus zu finden, jedoch nicht das Institut wo ich hin musste. Also entwickelte ich eine Strategie, die vollen Erfolg versprach. Ich suchte denjenigen am Campus, der die längsten Dreadlocks, den längsten Bart und die abgesandltste Kleidung hatte. Denn er musste ohne Zweifel derjenige sein, der schon am längsten studierte und sich folglich am besten auskennen würde. Ein voller Erfolg!

All dies verhinderte jedoch nicht, dass ich zu spät war und erst nach Beginn des ersten Talks in den Saal platzte. Als der local organizer dann feststellte, dass ich nun erschienen bin, wusste wenigstens gleich jeder, wer ich bin. Auch wenn mich manche vorher zwei bis drei mal musterten, was ich darauf zurückführe, dass sie keinen erwarteten der zehn bis zwanzig Jahre unter dem Durchschnittsalter der restlichen Teilnehmer lag.

An diesem Punkt kann ich kurz die Organik einer Konferenz mit einer Teilnehmeranzahl von 30-50 Leuten schildern. In den ersten beiden Reihen findet man die alteingesessenen Professoren. Sie kennen sich seit Jahrzehnten von solchen Veranstaltungen. Wenn einer von ihnen mit dem Vortrag an der Reihe ist, stellen sie gerne Fragen ohne vorher aufzuzeigen und lassen in die Beantwortung Bemerkungen einfließen, die wohl Insiderwitze sein müssen, da sie nur die anderen Altehrwürdigen zu Gelächter hinreißen. Eine ihrer weiteren Rollen, die vor allem für mich von Bedeutung war, ist es Neuankömmlinge auf fachliche Kompetenz zu prüfen.
In Reihen drei bis fünf folgt das Gros der Konferenzteilnehmer. Sie sind zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahre alt und besitzen postdoktorale Stellen bei denen es zum guten Ton gehört, nicht danach zu fragen ob die Position permanent ist. Auf fachlicher Ebene stehen sie in voller Blüte, können sich zurecht "Experten" auf ihrem Gebiet nennen, und sind nun vor allem geil darauf aus ihrer Expertise möglichst viel Ruhm und Geld zu machen. Durch diese kämpferische Einstellung kommt es natürlich zu Koalitionen, die sich in Cliquen in diesen drei Reihen manifestieren. Ist einer von ihnen mit dem Vortrag an der Reihe, geben sich die restlichen Gangs möglichst gelangweilt, i.e. sie klappen ihr Notebook auf und beginnen (nicht immer leise) darauf herumzuhacken. Mitglieder aus der selben Clique des Vortragenden stellen abschließend die Fragen und kommentieren die Antworten mit "Very interesting!".
In den hinteren Reihen folgt der Rest: übermotivierte Studenten, Zaungäste, einer der andauernd Fotos macht und schließlich die noch unvernetzten Zu-spät-kommenden, wie ich.

Nachdem ich von der hektischen Anreise nicht mehr keuchen musste, war ich auch schon mit meinem Vortrag dran. Es begann ganz gut, ich eröffnete mit einem Zitat von Poincare, einem berühmten statistischen Physiker, in dem er über die Soziologie schimpfte, was doch Gelächter nach sich zog (man muss dazu sagen, dass ich über eine Arbeit von mir redete, die in das Gebiet Soziophysik gehört). Danach konterte ich mit einem Spruch von Adorno, dass mathematisch kalkulierte Handlungen immer dumm sind, und fasste mit Richard Nixon zusammen, dass, wenn zwei schlechte Sachen keine Gute ergeben, man einfach etwas drittes Schlechtes probieren soll. Soziophysik eben. Als ich zum Inhalt kam, klappten Reihen drei bis fünf die Notebooks auf.
Einer der Altvorderen schien äußerst freundlich zu sein, er nickte mir lächelnd zu, wann immer ich eine Formel genauer erklärte. Es ist eine goldene Regel unter Physikern bei einem Talk immer eine Folie reinzugeben, die ein Zuhörer unmöglich verstehen kann. Dieser denkt sich dann, dass man tatsächlich etwas Schwieriges und Kompliziertes gemacht hat. Als ich bei dieser Folie angelangte, verfinsterte sich die Miene des Altvorderen und er hörte abrupt auf zu nicken und zu grinsen. Ich wusste, was mich bei der Fragerunde erwartete.
Da der Altvordere die Formel nicht verstehen konnte (was auch ihr Sinn war) bezweifelte er ihre Sinnhaftigkeit (die sie aber tatsächlich besaß!) und stellte eine Frage, die ich einfach nicht nachvollziehen konnte (weil ich in diesem Moment nicht durchschaute, was genau er nicht verstand). Wir vertagten die Diskussion in die Kaffeepause. Nachdem ich dort dann das Missverständnis ausräumen konnte, drehte er sich um.
Zu meiner Überraschung stieß ich bei jemanden aus Reihe vier auf Resonanz. In eben jener Kaffeepause fragte er mich über Details des von mir vorgeschlagenen Prozesses zur Modellierung der Fluktuation sozialer Kontakte aus, er hatte kein Notebook mit.

Den Abschluss eines solchen Tages bildet das gemeinsame Abendessen. Die Sitzordnung wird auf eine längliche Tafel umgestellt mit Altersgradient, wobei die jüngsten am nähesten zum Eingang des Lokals sitzen, die Älteren näher bei den Toiletten. Als ich das Gesprächsthema von Politik zu Fußball schob, entstand rund um mich das lebhafteste Gespräch an der Tafel. Als ein Spanier mich schließlich als "moving football encyclopedia" bezeichnete, wusste ich, dass es damit jetzt reichte. So um halb zehn am Abend löste sich die Gruppe auf. Lediglich ein Ire und ich wollten noch mehr Bier trinken. Als wir uns in Richtung Stadtzentrum aufmachten, war seine erste Frage an mich, ob die Arbeit wirklich hauptsächlich von mir war. Ich bejahte und beruhigte ihn mit dem Hinweis, dass ich aber an einigen guten Arbeiten aufbauen konnte und zählte diese auf. Daraufhin erklärte er mir sein Fachgebiet genauer und äußerte die Idee, wie das für meine Arbeit nützlich wäre. Die erste Skizze für das hatten wir schließlich nach Mitternacht nach vier Bieren am Grand Place fertiggestellt. Mal sehen, was daraus wird.

Am nächsten Tag um halb sieben musste ich wieder das Hotel verlassen um mich auf die Rückreise zu machen. Ich hatte nicht gewusst, dass an Wochenenden bei SkyEurope tatsächlich Zeitungen verteilt werden. Im nachhinein war dies folgenschwer. Als ich einen Artikel über den Papstbesuch las, sprach mich der vor allem beim Start nervöse Mann neben mir darauf an, was ich von dem Papst halte. Als er dann zugab Theologe zu sein, gestand ich Physiker zu sein. Er mochte die Wissenschaften nicht, sie führten seiner Meinung zu einer "Dekonstruktion des Wahrheitbegriff". Nachdem ich entgegnete, dass Wissenschaften keine Wahrheiten liefern, sondern Aussagensysteme zirkulärer Konsistenz bilden wollen, hatten wir uns hinreichend abgetastet damit ich die Frage stellen konnte, was er denn von Intelligent Design halte. Als er antwortete, dass er sehr angetan davon sei, sah ich einem anstrengenden Flug entgegen. Wie das Flugzeug landete, konnten wir uns zumindest darauf einigen, dass wir beide dankbar sind, wenn wir bei der Betrachtung ganz einfacher Sachen Staunen können. Ich erhielt sogar seine Visitenkarte für den Fall, dass ich nochmal mit ihm darüber reden möchte.