2007/09/09

Die Geschichte von der ersten PeqKonferenz

Vor zwei Tagen hatte ich zum ersten mal das Vergnügen bei einer Konferenz von statistischen Physikern als Gastredner eingeladen zu sein. Tatsächlich war nicht ich persönlich eingeladen, ich sollte vielmehr meinen Chef dort vertreten, der mich mit den folgenden Worten hinschickte: "Deine Karriere wird ganz wesentlich davon abhängen mit wem du rund um die Welt vernetzt bist. Also nutze die Gelegenheit und rede mit den Leuten!". Gesagt, versucht zu tun.

Die Konferenz fand an einem Nachmittag in Brüssel statt. Das heißt Aufstehen um halb fünf, ab auf den Flughafen. Ankunft in Brüssel um neun, Ankunft im Hotel um elf. Nach dem Mittagessen ab auf die Universität. Das erste Problem stellte die kürzlich erfolgte Fahrplanumstellung der öffentlichen Verkehrsmittel in Brüssel dar. Dies machte sämtliche von mir im voraus rausgesuchten Routen obsolet. Ich war am verkehrten Ende von Brüssel gestrandet, bis ich endlich jemanden fand, der nicht nur aus Brüssel kam sondern sich auch mit den Öffentlichen auskannte. Das half mir den Campus zu finden, jedoch nicht das Institut wo ich hin musste. Also entwickelte ich eine Strategie, die vollen Erfolg versprach. Ich suchte denjenigen am Campus, der die längsten Dreadlocks, den längsten Bart und die abgesandltste Kleidung hatte. Denn er musste ohne Zweifel derjenige sein, der schon am längsten studierte und sich folglich am besten auskennen würde. Ein voller Erfolg!

All dies verhinderte jedoch nicht, dass ich zu spät war und erst nach Beginn des ersten Talks in den Saal platzte. Als der local organizer dann feststellte, dass ich nun erschienen bin, wusste wenigstens gleich jeder, wer ich bin. Auch wenn mich manche vorher zwei bis drei mal musterten, was ich darauf zurückführe, dass sie keinen erwarteten der zehn bis zwanzig Jahre unter dem Durchschnittsalter der restlichen Teilnehmer lag.

An diesem Punkt kann ich kurz die Organik einer Konferenz mit einer Teilnehmeranzahl von 30-50 Leuten schildern. In den ersten beiden Reihen findet man die alteingesessenen Professoren. Sie kennen sich seit Jahrzehnten von solchen Veranstaltungen. Wenn einer von ihnen mit dem Vortrag an der Reihe ist, stellen sie gerne Fragen ohne vorher aufzuzeigen und lassen in die Beantwortung Bemerkungen einfließen, die wohl Insiderwitze sein müssen, da sie nur die anderen Altehrwürdigen zu Gelächter hinreißen. Eine ihrer weiteren Rollen, die vor allem für mich von Bedeutung war, ist es Neuankömmlinge auf fachliche Kompetenz zu prüfen.
In Reihen drei bis fünf folgt das Gros der Konferenzteilnehmer. Sie sind zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahre alt und besitzen postdoktorale Stellen bei denen es zum guten Ton gehört, nicht danach zu fragen ob die Position permanent ist. Auf fachlicher Ebene stehen sie in voller Blüte, können sich zurecht "Experten" auf ihrem Gebiet nennen, und sind nun vor allem geil darauf aus ihrer Expertise möglichst viel Ruhm und Geld zu machen. Durch diese kämpferische Einstellung kommt es natürlich zu Koalitionen, die sich in Cliquen in diesen drei Reihen manifestieren. Ist einer von ihnen mit dem Vortrag an der Reihe, geben sich die restlichen Gangs möglichst gelangweilt, i.e. sie klappen ihr Notebook auf und beginnen (nicht immer leise) darauf herumzuhacken. Mitglieder aus der selben Clique des Vortragenden stellen abschließend die Fragen und kommentieren die Antworten mit "Very interesting!".
In den hinteren Reihen folgt der Rest: übermotivierte Studenten, Zaungäste, einer der andauernd Fotos macht und schließlich die noch unvernetzten Zu-spät-kommenden, wie ich.

Nachdem ich von der hektischen Anreise nicht mehr keuchen musste, war ich auch schon mit meinem Vortrag dran. Es begann ganz gut, ich eröffnete mit einem Zitat von Poincare, einem berühmten statistischen Physiker, in dem er über die Soziologie schimpfte, was doch Gelächter nach sich zog (man muss dazu sagen, dass ich über eine Arbeit von mir redete, die in das Gebiet Soziophysik gehört). Danach konterte ich mit einem Spruch von Adorno, dass mathematisch kalkulierte Handlungen immer dumm sind, und fasste mit Richard Nixon zusammen, dass, wenn zwei schlechte Sachen keine Gute ergeben, man einfach etwas drittes Schlechtes probieren soll. Soziophysik eben. Als ich zum Inhalt kam, klappten Reihen drei bis fünf die Notebooks auf.
Einer der Altvorderen schien äußerst freundlich zu sein, er nickte mir lächelnd zu, wann immer ich eine Formel genauer erklärte. Es ist eine goldene Regel unter Physikern bei einem Talk immer eine Folie reinzugeben, die ein Zuhörer unmöglich verstehen kann. Dieser denkt sich dann, dass man tatsächlich etwas Schwieriges und Kompliziertes gemacht hat. Als ich bei dieser Folie angelangte, verfinsterte sich die Miene des Altvorderen und er hörte abrupt auf zu nicken und zu grinsen. Ich wusste, was mich bei der Fragerunde erwartete.
Da der Altvordere die Formel nicht verstehen konnte (was auch ihr Sinn war) bezweifelte er ihre Sinnhaftigkeit (die sie aber tatsächlich besaß!) und stellte eine Frage, die ich einfach nicht nachvollziehen konnte (weil ich in diesem Moment nicht durchschaute, was genau er nicht verstand). Wir vertagten die Diskussion in die Kaffeepause. Nachdem ich dort dann das Missverständnis ausräumen konnte, drehte er sich um.
Zu meiner Überraschung stieß ich bei jemanden aus Reihe vier auf Resonanz. In eben jener Kaffeepause fragte er mich über Details des von mir vorgeschlagenen Prozesses zur Modellierung der Fluktuation sozialer Kontakte aus, er hatte kein Notebook mit.

Den Abschluss eines solchen Tages bildet das gemeinsame Abendessen. Die Sitzordnung wird auf eine längliche Tafel umgestellt mit Altersgradient, wobei die jüngsten am nähesten zum Eingang des Lokals sitzen, die Älteren näher bei den Toiletten. Als ich das Gesprächsthema von Politik zu Fußball schob, entstand rund um mich das lebhafteste Gespräch an der Tafel. Als ein Spanier mich schließlich als "moving football encyclopedia" bezeichnete, wusste ich, dass es damit jetzt reichte. So um halb zehn am Abend löste sich die Gruppe auf. Lediglich ein Ire und ich wollten noch mehr Bier trinken. Als wir uns in Richtung Stadtzentrum aufmachten, war seine erste Frage an mich, ob die Arbeit wirklich hauptsächlich von mir war. Ich bejahte und beruhigte ihn mit dem Hinweis, dass ich aber an einigen guten Arbeiten aufbauen konnte und zählte diese auf. Daraufhin erklärte er mir sein Fachgebiet genauer und äußerte die Idee, wie das für meine Arbeit nützlich wäre. Die erste Skizze für das hatten wir schließlich nach Mitternacht nach vier Bieren am Grand Place fertiggestellt. Mal sehen, was daraus wird.

Am nächsten Tag um halb sieben musste ich wieder das Hotel verlassen um mich auf die Rückreise zu machen. Ich hatte nicht gewusst, dass an Wochenenden bei SkyEurope tatsächlich Zeitungen verteilt werden. Im nachhinein war dies folgenschwer. Als ich einen Artikel über den Papstbesuch las, sprach mich der vor allem beim Start nervöse Mann neben mir darauf an, was ich von dem Papst halte. Als er dann zugab Theologe zu sein, gestand ich Physiker zu sein. Er mochte die Wissenschaften nicht, sie führten seiner Meinung zu einer "Dekonstruktion des Wahrheitbegriff". Nachdem ich entgegnete, dass Wissenschaften keine Wahrheiten liefern, sondern Aussagensysteme zirkulärer Konsistenz bilden wollen, hatten wir uns hinreichend abgetastet damit ich die Frage stellen konnte, was er denn von Intelligent Design halte. Als er antwortete, dass er sehr angetan davon sei, sah ich einem anstrengenden Flug entgegen. Wie das Flugzeug landete, konnten wir uns zumindest darauf einigen, dass wir beide dankbar sind, wenn wir bei der Betrachtung ganz einfacher Sachen Staunen können. Ich erhielt sogar seine Visitenkarte für den Fall, dass ich nochmal mit ihm darüber reden möchte.


2007/08/23

Frequenzanalyse

Besseren Wissens begibt man sich auch im postpubertären Alter auf Rockfestivals um die Helden des hochpubertären Alters mal wieder zu sehen, so auch dieses Jahr zusammen mit dem Held der Arbeit, dem Stefan. Seiner Analyse ist nicht mehr viel hinzuzufügen, außer mein subjektiver Teil.


Anfahrt = Schlacht. Erwisch den Zug, boxe Mitkonkurrenten um Sitzplätze mit deinem Gepäck nieder, raffe die Verbleibenden beim Einstieg in den Shuttlebus dahin und vielleicht kriegst du einen Ort am Campingplatz, der nicht den ganzen Tag als Klo verwendet wird. Geschafft. Die Ansammlung zwanzig Deutscher, die ihren Rädelsführer mit Megaphon ausstatteten, ist das geringere Übel. Dann Bier. Bier und Musik, am Anfang vor allem Bier. Die Bands kennt man eh nicht, auffällig viele beginnen mit "The..." Also Bier und vielleicht mal Vodka im Zelt. Und einen Apfel aber schnell zurück zu Tocotronic. Stille. Chorgesänge. Ein schwarzer Monolith. Affen springen davor herum, der fliegende Knochen wird zur Gitarre in des Hamburger Grafens Hände. Dann halt mal wieder ein Bier. Besser wirds eh nimmer, aber feuchter. Aber noch nicht, nach trockener Nacht langes Schachspiel, am Ende durch Unachtsamkeit verbockt, scheiße, Bier, nein, Vodka. Mieze von Mia singt Lieder, die ihr einfielen, als die Spree neben ihr rauschte. Sie schlägt uns ein Tauschgeschäft vor: "Ich gebe euch meine Flügel, ihr mir eure Hände!". Ich schlage ihr ein Tauschgeschäft vor: Sie soll weniger scheiße erzählen und ein bisserl bessere Musik machen, dann muss ich nicht über sie schimpfen.
Überhaupt, Frauen die rocken rocken nicht sondern singen mit Katzennamen, humpe(ln) und brauchen wirklich eine größere Wohnung. Außer sie heißen Juliette Lewis... yeah!

Snow Patrol und Beatsteaks bringen Regen mit - und viele Leute. Und ihre ein, zwei Alben (was, das war live?). Dann lieber Damon Albarn, der so cool ist, dass es kurzzeitig schneite anstatt zu regnen. Ach, ja, mal wieder ein Bier und Die Ärzte Comedy geniessen. Nine Inch Nails sind auch da, ich verstehe ihre Kunst aber nicht. Trent Reznor vergisst seine Gleitcreme und ist deswegen schlecht drauf.

Nasse, kühle Angelegenheit mittlerweile... viel zu nüchtern, Bravopunks und Alternative-Ö3-Rocker. Na guad, dann ned, und: Gehts... wissts eh scho.


Annex

Drei Sachen, die man auf Konzerten nicht macht:

  1. Zwanghaftes Nachvornekommenwollen. Hallo, ihr, die das gerne macht! Kommt halt mal ein bisschen früher auf diese Idee! Irgendwann ist halt mal kein Platz mehr, daran kann ich auch nichts ändern. Es ändert auch nichts, wenn ihr euch dann aufregt, dass so wenig Platz ist. Hinweis: Bevor ihr gekommen seid, war mehr Platz!
  2. Stage Diving. Das geht ja nun wirklich jedem am Arsch, außer einem der oben ist. Alle anderen kriegen denjenigen am Schädel und müssen alle anderthalb Minuten sich entscheiden, sich das Konzert weiter anzuschauen oder den Trottel hinten oben runterfallen zu lassen.
  3. Pfurzen. Muss ich wohl nicht näher beschreiben.

2007/08/05

Der Eintrag, den man überspringen kann, wenn man der Beschäftigung mit Geschriebenem keinen besonderen Wert beimisst.

Eine nette Facette der Übergangszeit zwischen alter und neuer Rechtschreibung (endete am 1.8.) stellte die Möglichkeit dar, "sie" in der Anrede entweder groß oder klein schreiben zu können. Dies erlaubte, durch die Wahl des großen oder kleinen "s", implizit die Wertschätzung für den Adressaten mitzuteilen. Einer richtigen Respektperson wird man sich nicht so schnell trauen, mit "sie" zu titulieren, dass "Sie" wirkt da doch schon unterwürfiger. Das pro forma "sie" spricht da schon eine andere Sprache: "Eigentlich möchte ich nicht einmal auf du mit ihnen sein...".
Wie sie, verehrter Leser, (okay, platt, aber aufgelegt) schnell feststellen können, birgt eine derartige Flexibilisierung der Rechtschreibung nie geahnte Ausdrucksmöglichkeiten im Geschriebenen. Vorreiter auf diesem Gebiet ist ja bereits Homer Simpson, dessen "laaangweilig" wahrscheinlich kurz vor der Aufnahme in den Duden steht. Was spricht dagegen, die Bedeutung eines Wortes im Schriftbild zu verstärken? Wie wäre es mit lAUt und l(ei)se, dicckk und dün², oder kleinkuhnst.
Bei dem Versuch einer Formulierung für groß und klein stößt man dann auf ein erstes Problem. GROß oder das lehrbuchgemäße GROSZ ergeben schlichtweg kein ästhetisches Buchstabenstilleben, zumindest nicht in einer Schrift, wo S und Z nicht spiegelsymmetrisch sind. GROSS hat eine andere Bedeutung. Somit findet man den nächsten Vorteil in einer Erweiterung des Wortschatzes, da man nun auch mal geWaLtig als Synonym verwenden wird.

Hier braucht man aber noch lange nicht aufhören. In konsequenter Fortführung dieser untersuchten Utopie möchte ich mal ein Gedicht zum besten geben:

Heellnrstug.

Es ist ein wissenschaftlich bestätigtes Ergebnis, das wir ein Wort lesen können, wenn erster und letzter Buchstabe stimmen, und alle anderen in beliebiger Reihenfolge dazwischenstehen. Diesen Prozess der Herstellung kann man nun auch in der Schrift ausdrücken und den Leser dieses Wort auch gleich erlebbar machen. Ein weiterer Erfolgsgarant für diese Idee in der breiten Masse stellt die Tatsache dar, dass man als Student oder Arbeitsloser ja viel Zeit bei dieser Tätigkeit verbringt, anschließend versucht die richtige Leitung zu treffen und für ein Pläuschchen mit Onkel Jürgen ein bisserl Geld abkassieren will.

Ich habe im Zuge meiner Diplomarbeit versucht, die Absenz eines Objektes als Booleschen Aussagewert mit der Bezeichnung " " einzuführen, was aber am Widerstand meines Betreuers scheiterte. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um wieder Werbung für diese Idee zu machen. Denn es gibt wohl , dass Nichts besser beschreibt als . Es ist die Meinung des Autors, dass eine Flexibilisierung der deutschen Rechtschreibung ein Menschengeschlecht mit noch nie dagewesenem Abstraktionsvermögen schaffen könnte.

2007/07/31

Die Stadt gehört wirklich mir?

Diese Beschwerde habe ich heute dem Kundendienst der Wiener Linien geschickt.

Sehr geehrte Damen und Herren Mitarbeiter des Kundendienstes der Wiener Linien!

Grund für diese Beschwerde ist der Umstand, dass ich heute, am Weg in die Arbeit mit der Linie U6 von der Längenfeldgasse nach Michelbeuern, drei mal angebettelt wurde. Eigentlich müste ich ja vier mal sagen, denn der Ziehharmonikaspieler samt Kleinkind hat mich auch schon davor in der U4 angebettelt. Und tatsächlich müsste ich fünf mal sagen, da auf Höhe Alser Strasse sich zwei Bettler vor mir begegneten (dieser Boom erschwert anscheinend Rayonabsprachen), die dann den U-Bahn Wagon untereinander aufteilten. Es handelte sich hierbei um den älteren, bärtigen Mann mit Krücke sowie den Blonden etwas jüngeren, der auf der Strasse wohnt - ohne Geld und ohne Papiere. Beide sehe ich häufiger als meinen Chef.

An dieser Stelle möchte ich mich dann auch für die erhöhten Fahrkartenpreise bedanken, da ich davon ausgehe, dass sie die Mehreinnahmen unter anderem zur Bekämpfung dieses Tätigkeitsumfeldes aufwenden.

Ich hatte eigentlich vor, solange ich in Wien wohne und arbeite, mit den Öffentlichen in die Arbeit zu fahren. An Tagen, wie heute, neige ich dazu, diese Entscheidung zu revidieren.

MfG,

...

2007/07/30

Vom Bleistift mit Radiergummi zu Bulgarien. Von Bulgarien zum Rehschnitzel mit Preiselbeersauce.

Also, diese Bleistifte mit Radiergummi oben. Die sind schon eine tolle Sache. Wer ist eigentlich auf diese Idee gekommen? Ich weiß nicht wer, aber der kriegt sicherlich jede. Beim ersten Nachdenken müsste man ja zum Schluss kommen, dass sowas nur einem Deutschen einfallen kann, damit er noch effizienter arbeiten kann und noch schneller zum Feierabend-Fohrenburger kommt. Trugschluss. Jeder, der einmal mit diesem Radiergummi tatsächlich radieren wollte, weiß, das geht nicht. Das Ergebnis ist mehr Dreck als vorher, aber auch nicht soviel Dreck, um das Geschriebene unlesbar zu machen, also wirklich nutzlos. Beim ersten Nachdenken.

Der eigentliche Sinn des Radiergummis liegt nämlich woanders. Wir werden vom AKH mit diesen Dingern beliefert. Und bereits am ersten Tag, wo wir dann statt den vorherigen Roten diese Gelben mit dem Freudenknubbel oben bekommen haben, wars mit mir geschehen. Es begann damit, das ich auch eine überflüssige Heftklammer am Schreibtisch liegen hatte. Das kommt häufiger vor, es kennen wohl einige das, was passiert, wenn man Zetteln zusammen heften möchte, dies aber mit sovielen macht, dass die arme Klammermaschine einfach überfordert ist. Nach minutenlangem Einsatz sämtlicher Fingernägel hat man diese nunmehr verkrüppelte Heftklammer draußen und bohrt sie in den Radiergummi, der ja eh nicht radiert, hinein, um dem urmännlichen Trieb zu folgen ein Loch zu bohren. Mit einem ists aber nicht genug, mehere Folgen die schließlich zu einem großen Loch verschmelzen und irgendwann ist der Bleinachbar abgetragen. Ich muss mir unbedingt ein paar neue bestellen.

Zurück zur Frage, wer diesen Bleistift erfunden hat, der dem Schreibzeug Gottes nicht unähnlich sein kann. Nach dem Bulgarienurlaub bin ich der Meinung: das kann nur ein Bulgare gewesen sein! Dazu muss man wissen, dass die Bulgaren den Kommunismus teilweise dadurch überwinden, eine Überfülle von Auswahlmöglichkeiten zu schaffen, also z.B. einen Radiergummistift. Da der Kommunismus aber noch nicht lange genug her ist, funktioniert keine dieser Auswahlmöglichkeiten richtig. So funktioniert der Radiergummi nicht, und der Stift wird ungenützt weggehauen, wenn dort wo der Freudenknubbel war nur noch ein gähnendes Loch ist.

Dieses Verhaltensmuster haben wir vor allem auf den Speisekarten festgestellt. Es gibt kein Resturant in ganz Bulgarien, wo man weniger als einhundert Hauptspeisen zur Auswahl hat. Und der Küchenchef, den man gottlob nicht zu Gesicht kriegt, schon gar nicht bem Arbeiten, wird die ja wohl nicht alle frisch zubereiten. Da schätz ich doch Restaurants wie die Thayabrücke in Hardegg. Nur zwanzig Meter von der tschechischen Grenze entfernt (in Tschechien ist die Speisekartenpolitik nicht viel anders) findet man dort vielleicht zehn Hauptspeisen. Alle rund um Fleisch aufgebaut. Schnitzel, Cordon Bleu, oder vom Reh. Und alles wird mit Preiselbeersauce serviert. Also, wenn Gott, nachdem er neue Gattungen mit seinem bulgarischen Entertainment-Center Bleistift intelligent designt hat, Essen geht, isst er sicherlich ein Rehschnitzel mit Preiselbeersauce. Man glaubt ja zuerst, das würde nicht zusammen passen. Irrtum. Wie Hobbyköche wissen, liegt das Geheimnis eines guten Essens im kompletten Geschmackserlebnis. Während Fleisch, und ein Rehschnitzel macht da keine Ausnahme, in der Geschmack-vs-Zeit Kurve flach beginnt aber lange wirkt, ist die Preiselbeersauce am Anfang sehr präsent und lässt dann schnell nach damit das Fleisch die Bühne für sich hat. Große Küche.

2007/07/28

Ein Tribut an C. Northcote Parkinson

Zu allererst: Nein, das ist nicht der mit der Krankheit. C(yril). Northcote Parkinson wurde 1909 in Großbritannien geboren. Hochinteressiert in die Geschichte der britischen Marine zögerte er nicht lange eine militärische Laufbahn einzuschlagen, während er Geschichte studierte. Er legte eine respektierliche akademische Laufbahn hin, während der er Entdeckungen machte, die nicht so recht in das Tätigkeitsfeld eines Historikers passen wollten. Mit sich ringend, wie diese bahnbrechenden Ergebnisse wohl am besten zu publizieren seien, wählte er die Form des humoristischen Essays, von denen der erste 1955 im Economist erschien. Zuerst anonym, wurde später sein Name darunter gesetzt und Parkinson's Law ward geboren. Soviel mal an unnützer, nichtssagender Allgemeinbildung.

Diesen Tribut rechtfertigen zwei Umstände seines Wirkens, welche beide wenig verstanden bzw. für ernst genommen werden, bei näherer Untersuchung sich jedoch bald als gültiger und schlichtweg weiser herausstellen, als all die anderen vergleichbaren Unterfangen, die in den 50 Jahren seither unternommen wurden.

Heutzutage wird ja das Betreten der Buchhandlung in erster Linie dadurch erschwert, dass man einen fünf Minuten langen Geschicklichkeitslauf absolvieren muss. Durch sich anscheinend von selbst auftürmende Bücher in immer knalliger werdenden Umschlägen mit der ultimativen Managementlehre, den 48 Wegweisern zu beruflichem Erfolg und die Anleitung sich selbst auch ohne Spiegel zu erkennen, damit man dann weiß zu welchen der zwischen drei und achtundzwanzig variierenden Persönlichkeitstypen, welche in den Büchern der beiden vorhergenannten Gattungen erwähnt werden, man sich rechnen muss. Das enorme Ausmaß an sinnlos abgeschlachteten Bäumen, welches diese sich selbst erhaltenden Büchersysteme repräsentieren, kann man sich anhand folgender Überlegung begreiflich machen. Angenommen es gäbe einen Menschen, der das Rezept zum Erfolg und zu einem glücklicheren und produktiveren Berufsleben entdeckt hat, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eines dieser Bücher auch tatsächlich von einem wie ihm geschrieben ist? Antwort: Gleich Null.
Wenn man den heiligen Gral des effektiven Managements gefunden hat, ist man stinkreich, von zig Firmen gejagt und mit 35 im Vorruhestand, aber man schreibt sicher kein Buch darüber! Im Gegenteil, man kann davon ausgehen, dass all diese Bücher von Leuten geschrieben wurden, die eben auf diesem Gebiet versagt haben, sich deswegen ständig darüber Gedanken machen müssen. Diese Gedanken türmen sich schließlich bis zum Volumen eines Buches auf, um sich über ebenso erfolglose Menschen zu ergießen, womit auf kurz oder lang sicher gestellt ist, dass sich diese Dummheiten weiterzüchten bis man auch vom Friseur etwas über das Synergiepotenzial zwischen Mani- und Pediküre hören darf.

Natürlich gibt es auch noch andere Lektüre auf diesem Gebiet, z.B. die von Wirtschaftswissenschaftern und Soziologen. Ihr Anspruch ist jedoch auch gleichzeitig ihr Untergang. Von den zweitausend tatsächlichen Lesern, die sie für ihr Buch finden, sind eintausendachthuntert nämlich Diplomanden, die nach dem Lesen des ersten Absatzes jeglichen Kapitels das Buch weglegen, eine Literaturangabe in der Diplomarbeit hinzufügen und in der Wikipedia weiterlesen.

C. Northcote Parkinson lieferte nicht nur wesentliche Beiträge auf dem Gebiet der Administrativologie, sondern er ahnte auch diese Entwicklungen voraus. Eine seiner beiden hier gewürdigten Leistungen besteht nämlich darin, für die Veröffentlichung seiner Ergebnisse die Form des humoristischen Essays zu wählen. Die Überlegenheit dieser Wahl liegt in der Tiefe seiner präsentierten Ergebnisse, wodurch man sowohl durch Gestalt als auch durch Gehalt seines Werks erfreut werden kann.

Die zweite Leistung ist natürlich seine Entdeckung, die sich kurz so zusammenfassen lässt: Arbeit (insbesonders Papierarbeit) nimmt immer die Zeit in Anspruch, die man für ihre Erfüllung zu Verfügung hat. Dies hat zur Folge, dass die Leistungsfähigkeit eines Beamten oder eines Magistrats nicht dadurch bestimmt werden kann, wieviel Arbeit sie zu verrichten hat. So wird die Größe eines administrativen Körpers durch zwei Gesetze bestimmt: Ein Beamter möchte die Anzahl seiner Untergebenen maximieren, nicht die seiner Rivalen. Außerdem macht jeder Angestellte Arbeit für die anderen Angestellten. Diese Gesetze führen zu einem Anwachsen des Apparats um durchschnittlich sechs Prozent im Jahr, wie Parkinson zeigt und wie sich mit Daten der Marine belegen lässt.
Weitere Arbeiten von Parkinson erklären u.a. wieso ein Kabinett in der Geschichte immer handlungsunfähig und bedeutungslos wurde, sobald es mehr als einundzwanzig Mitglieder zählte, oder wieso bei einer Sitzung immer am längsten über die Dinge gestritten wird, die am trivialsten sind (weil sich hier jeder Teilnehmer auskennt und seine Wichtigkeit zeigen möchte, im Gegensatz zu komplizierten Themen, wo fast keiner die Wörter in der Überschrift des Papieres kennt). Der interessierte Leser wird schnell die Adäquatheit dieser Erkenntnisse einsehen.

Wen all dies nicht beeindruckt, sei noch dies mit auf den Weg gegeben: Nach dem Tod seiner zweiten Frau heiratete Parkinson im Alter von 75 Jahren noch einmal, und lebte mit seiner Frau fortan auf der Isle of Man. Er kommt zwar deswegen noch nicht an den guten, alten Goethe heran, vorbildhaft ist es dennoch.

2007/07/24

Bureaucrazy oder doch Dilbert?

Nachdem ich nun eine Woche an einem Modell für Bürokratie arbeite, wird es mal Zeit, ein kleines Fazit zu ziehen. Ich persönlich gebe dem ganzen den Arbeitstiteil "Dilbert", mein Chef favorisiert "bureaucrazy". Ich bleib hier trotzdem mal bei Dilbert.
Meine Dilberts grasen eine zweidimensionale Arbeitsfläche ab, ohne sich untereinander zu koordinieren. Mit der Zeit werden sich ihre Produktionen überschneiden und die durchschnittliche Arbeitsleistung pro Dilbert sinkt. Also werden Manager eingestellt, die Regeln aufstellen wo diese Überschneidungen passieren und sich die Wege somit nicht mehr kreuzen. Das steigert die Effizienz der Dilberts - bis zu einem gewissen Grad. Ab dann macht die Verwaltung (sprich Regeln sprich Bürokratie) die Dilberts ineffektiver als sie ohne Verwaltung wären. Tja, genauso sollt das sein!

Auch wenn ich noch einige Arbeitstage brauche, um alle Feinheiten im Modell hinzukriegen, bin ich am Überlegen wie die Physik von dem ausschauen soll. Zuerst hätte ichs mit der Entropie versucht, aber anscheinend schaut dieses Modell mehr einem zellulären Automat ähnlich (checkst du auf Wikipedia). Also hab ich mir diese Dinger mal genauer angeschaut. Schon oarg. Die Idee ist echt schön dahinter, einfache Regeln, komplexe emergierende Verhaltensweise, alles bei hundertprozentiger Berechenbarkeit. Dann habe ich weiter gelesen. Aha. Dann ist also das gesamte Universum ein zellulärer Automat. Jaja, jegliches Leben sowie die ganze Physik. Woran liegt das eigentlich, dass jede naturwissenschaftliche Subdisziplin das gesamte Universum erklären kann/will? Exkursion.

Frage: Herr X, ihre Leistungen auf dem Teilgebiet der Woswasinetik sind herausstechend. Ohne Übertreibung kann man sie als einen der bedeutendsten Köpfe in dieser Disziplin nennen. Wie beschreiben sie ihr Verhältnis zur Woswasinetik?

Herr X: Die Grundgedanken kamen mir bereits als kleiner Junge unter dem Himbeerstrauch sitzend. Als diese mir nicht auf den Kopf fielen, sondern von einem Vogel weggepickt wurden, dachte ich "woswasi". Nach Jahren des Studierens war es mir möglich, dieses "woswasi" in der Wurschtik auf fruchtbaren Boden zu bringen und somit die Woswasinetik mitzubegründen. Nach anfänglichem Ruhm schloss ich mich sieben Jahre zuhause ein, um mein Opus magnus zu beginnen. Im Zuge kontemplativen Philosophierens wurde mir schließlich klar, das man auf jede Frage mit "woswasi" antworten kann - ja letztlich auch den Ursprung des Universums passend umschreibt.

Frage: Faszinierend. Im Gegensatz zum Wiener Kreis, wo die "Woswasinetik" nicht zum Paradigma wurde, sondern alle vorhergehenden Paradigmen überflüssig machte, erfreut sich die diametral entgegengesetzte Lehre des "Whateviorismus" mehr und mehr Beliebtheit im neuanglikanischen Raum und besitzt angeblich die gleiche Beweiskraft. Wie lässt sich dies mit ihrer Lehre abgleichen?

Herr X: woswasi.

Exkurs Ende.

Nach anderthalb Jahren, in denen das Durchschauen der neuen Physik Preprints zur Tagesroutine gehört, habe ich schön langsam gelernt, dass das von mir extraordinär geschätzte Auflösen philosophischer Debatten der alten Griechen mittels noch nicht vollständig verstandener neuer physikalischer Erkenntnisse, kein Volkssport unter Studenten ist, sondern sich anscheinend durchs gesamte Arbeitsleben ziehen wird. Wie schön. Gott sei Dank haben wir nun endlich Laser mit entsprechender Kohärenzlänge und Bandbreite, damit erstmals möglich ist Rationalismus vs. Empirismus zu entscheiden. Doch dazu ein andermal.

Jetzt beginnt gleich Wrestling auf DSF.